Die Weltkriege
Wie viele Schicksalsschläge verkraftet man als Eltern? Das Schicksal verlangt von
Johann und Elsa noch mehr. So kommt 1961 ihr Sohn Alois bei einem Arbeitsunfall ums
Leben. Sie haben fünf ihrer sechs Söhne verloren. Ehemann Johann stirbt 1971. Und als
sei es noch nicht genug, muss Elsa 1975 einen weiteren schweren Schicksalsschlag
hinnehmen. Ihr Enkel Karl-Heinz (genannt Molle) kommt im Alter von 24 Jahren bei einem
Verkehrsunfall auf der Hunsrückhöhenstraße ums Leben. Ich sehe heute noch vor mir, wie
Elsa mit schneeweißem Haar und gesenktem Kopf vor dem Leichenwagen steht, der an
ihrem Haus vorgefahren ist. Es war der letzte Schicksalsschlag für die leidgeprüfte
Mutter und Großmutter, Elsa stirbt 1979 im Alter von 88 Jahren.
Wie ich anfangs erwähnte, reagierte mein Opa (Schillinger Michel) ähnlich jähzornig wie
Baldesse Johann. Es kam vor, dass mein Opa samstags zu Schumatze (Peterberger Hof)
in die Gesangsprobe ging und erst montags nach Hause kam. Dabei hatte er dem Alkohol
entsprechend zugesprochen. Sein Verhalten war dann jähzornig, ungehalten und
aggressiv. Das zu erleben war für unsere Familie nicht schön. Ich muss aber auch sagen,
dass er ansonsten ein liebenswürdiger Mensch und guter Opa war.
Sein Leben war ebenfalls durch Schicksalsschläge geprägt: Seine erste Frau starb 1923
bei der Geburt ihrer Zwillinge Kurt und Ernst im Kindbett. Dann mussten die Söhne in den
verdammten, unsinnigen Krieg und kamen nicht mehr zurück. Ernst starb 1943 im Alter
von 20 Jahren bei der größten Panzerschlacht der Weltgeschichte bei Prochorowka (2400 km
fern der Heimat im Osten). Kurt kam 1944 im Alter von 21 Jahren bei einem Flugzeugabsturz
in Lüneburg ums Leben. Vier Wochen vor Kriegsende verlor Michel dann auch noch seine
Mutter bei einem Granatenangriff in Schillingen.
Heute verstehe ich das damalige Verhalten von Baldesse Johann und meinen Opa Michel.
Sie waren geprägt und gezeichnet durch die schweren Schicksalsschläge in ihrem Leben.
Heutzutage sind wir hier verschont von diesen Schicksalsschlägen durch Kriege. Wir
sollten froh und dankbar sein, in unserem Land in einer so friedlichen Zeit zu leben
und dabei nicht vergessen, wie gut es uns geht.
Viele Probleme, die wir meinen heute zu haben, sind dagegen oft Wohlstandsprobleme.
Wenn das Schicksal nicht los lässt
Im Zweiten Weltkrieg traf das Schicksal einige Familien besonders hart. So auch die
Familie Mörsdorf in Braunshausen.
Es war Anfang der sechziger Jahre und ich ging gerade zur Schule. Ich wohnte in
Gellmasch Haus gegenüber von Baldesse. In beiden Häusern wohnten drei Generationen,
wie es damals üblich war. Ich spielte um unser Haus herum, was zu der Zeit meine
Lieblingsbeschäftigung war. Die beschauliche Idylle, es waren ja kaum Autos
unterwegs, wurde durch lautes Geschrei gestört. Es war Johann, der Opa meines
Freundes Robert und der Vater von Karl. Öfter war es der Fall gewesen, dass er so
reagierte. Es hatte für mich den Anschein, dass er jähzornig war. Aber warum?
Übrigens reagierte mein Opa Michel manchmal genauso, wenn er zu später Stunde aus dem
Gasthaus kam.
Heute recherchiere ich dieses Verhalten für diese Internetseite.
Johann und Elsa Mörsdorf heirateten 1919. Sie schenkten von 1920 bis 1930 sechs
Jungen das Leben. Die heranwachsenden Männer sollten bald in die schönsten Jahre
ihres Lebens kommen, doch es kommt anders. Am 1. September 1939 bricht der Zweite
Weltkrieg aus, der alles verändern wird.
Zunächst kommt im Juli 1942 die Hiobsbotschaft aus Frankreich, dass Hugo im Alter
von 20 Jahren gefallen ist. Im September 1944 kommt aus Lothringen die Nachricht,
dass Arthur mit 21 Jahren gefallen ist. Im Januar 1945 schlägt das Schicksal wieder
zu. Der 19- jährige Robert verliert in Russland sein Leben. Den Tod des dritten
Sohnes kaum verdaut, kommt drei Wochen später aus Kroatien die nächste
Todesnachricht: Johann ist im Alter von 24 Jahren gefallen. Vier Söhne in drei Jahren
haben Mörsdorfs durch diesen sinnlosen Krieg verloren.
Der Zweite Weltkrieg
Es ist der 1.September 1939. An diesem Tag bricht der Zweite Weltkrieg aus. Er
sollte sechs Jahre lang dauern und mehr als 60 Millionen Menschen das Leben
kosten.
Braunshausen, Mariahütte und Gomms-Mühle werden ebenfalls von diesem Ereignis
betroffen sein. Im Jahr 1939 zählt der kleine Ort am Fuße des Peterberges 621
Einwohner.
Bereits im September 1939 werden Soldaten in Braunshausen einquartiert. Das
Nazi-Regime hat auch auf unseren Ort Auswirkungen, die ich zu einem späteren
Zeitpunkt beleuchten möchte.
Am 16./17. März 1945 rückte amerikanisches Militär im Ort ein und besetzte
diesen. Braunshausener Bürger hissten daraufhin als Zeichen der Ergebung an der
Schule ein weißes Bettlaken.
Der Zweite Weltkrieg war offiziell am 8.Mai 1945 zu Ende.
Man sollte jedoch nicht vergessen, dass die letzten deutschen Spätheimkehrer
erst im Januar 1956 zurück in ihre Heimat kamen.
Viele Väter, Söhne, Brüder, Freunde mussten in diesen sinnlosen, verdammten
Krieg. Einige von ihnen kehrten nie mehr nach Braunshausen zurück. Sie blieben
irgendwo in fremder Erde.
Die Tränen, welche damals vergossen wurden, sollten nicht in Vergessenheit
geraten.
Das Totenkreuz von Karl Weiler aus Braunshausen irgendwo im Osten
Die Sterbebilder der Soldaten gab es in den Kriegsjahren fast in jedem
Haushalt. In einem kleinen Ort wie Braunshauen waren viele miteinander
verwandt oder befreundet.
Auf dem Bild von Karl steht, dass er seinen 7 Monate alten Sohn nie
sehen konnte. Durch den Krieg wuchsen viele Kinder als Halb- oder
Vollwaisen auf.
Arthur
Hugo
Johann
Robert
08.09.1969: Elsa und Johann Mörsdorf feiern
ihre Goldene Hochzeit.
Links steht Karl Mörsdorf. Er überlebt als
einziger der sechs Söhne.
Kurt
Ernst
Russland, den 6.8.43
Liebe Eltern und Schwester!
Möchte Euch nur mitteilen, dass ich
noch gesund bin, was ich doch auch
noch von Euch hoffe.
Bis jetzt habe ich noch keine Post
von Euch erhalten, aber ich hoffe
doch in den nächsten Tagen ein
kleine Neuigkeit von Euch durch ein
liebes Brieflein zu erfahren.
Meine Lieben, kann Euch nur
mitteilen, dass ich sehr, sehr harte
Tage und spannende Minuten erlebt
habe, aber es geht alles vorüber und
das ist die Hauptsache.
Was macht Ihr denn noch meine
Lieben, ich hoffe doch, dass bei
Euch noch alles im alten Gleise geht
oder nicht?
Nun meine Lieben möchte ich für
heute wieder schließen, denn was ich
noch weiß kann ich doch nicht
schreiben, aber das ist für Euch
auch gar nicht so wichtig.
Für heute grüßt der in der letzten
Zeit viel Glück gehabt hat
Euer Sohn Ernst
Gruß an alle Bekannten
bes. Grüße an Familie Nordmeyer
Es ist der letzte Feldpostbrief von
Ernst an seine Familie.
Er stirbt am 21.08.1943
Der letzte Brief von der Familie an ihren Sohn Kurt.
Er wird ihn nie erhalten.
Der rote Vermerk “Zurück Empänger tödlich abgestürzt”
trifft die Familie schwer.
Es war die schlimmste Nachricht von der Front. Man konnte nicht
einmal Abschied nehmen von Vater, Sohn, Bruder oder Freund.
Meine Großeltern und meine Mutter lebten von 1938 bis 1948 in Vöhrum Kreis Peine.
Sie zogen damals dorthin, weil mein Opa bei der Bahn Arbeit gefunden hatte. Deshalb
erscheint auf den Briefen die Adresse von Vöhrum.
Die Frage, warum man in diesem System mitmachen musste, zeigt u.a. dieses
Schreiben. Ein Familienvater mit damals sechs bis zehn Kindern (was zu
dieser Zeit normal war), konnte es sich nicht leisten, arbeitslos zu werden.
Also musste er dem System folgen, um seine Familie ernähren zu können.